Wo KI im qualitativen Research wirklich unterstützt – 6 praxisnahe Einsatzfelder im Überblick
Bevor ich in den nächsten Artikeln dieser Serie einige Tools vorstelle, will ich hier zunächst noch die wichtigsten Einsatzfelder von KI-Tools für UX und Research betrachten. Denn es gibt inzwischen Tools wie Sand am Meer und täglich entstehen neue Anwendungen, Integrationen und Plattformen, so dass eine Eingrenzung erforderlich ist. Viele dieser Tools versprechen, Research einfacher, schneller oder sogar vollautomatisch zu machen.
Doch die Entscheidung, wo und wie man KI sinnvoll einsetzt, ist alles andere als trivial. Die Einsatzmöglichkeiten in der qualitativen Forschung sind kontextabhängig und oft nicht auf den ersten Blick erkennbar. Genau hier beginnt die eigentliche Herausforderung: Nicht das Tool macht den Unterschied, sondern die Aufgabe, die man damit lösen will.
Viele Teams stehen vor genau diesem Dilemma: KI ist da, die Tools sind da – aber welches davon passt zu welchem Problem? Wie konkretisiere ich mein Ziel? Und wie komme ich überhaupt von einer vagen Idee zu einem strukturierten Research-Ansatz? Wie ist die Qualität der Ergebnisse? Was ist Hype, was bringt echten Mehrwert? Und wo braucht es doch menschliches Know-how, um Ergebnisse einzuordnen?
In diesem Beitrag zeige ich sechs typische Einsatzfelder entlang des Research Prozesses auf, in denen KI heute bereits echte Unterstützung im qualitativen Research leisten kann. Und ich skizziere, worauf geachtet werden sollte – damit aus Effizienz kein Irrweg wird.
Alternativ ließen sich die Prozessschritte auch entlang typischer Marketingfragen strukturieren – etwa: "Wie kann ich ein neues innovatives Produkt entwickeln, das echten Mehrwert für meine Zielgruppe liefert?" oder "Wie optimiere ich meine App basierend auf Nutzerfeedback?" Das wäre sicher praxisnäher, würde aber auch bedeuten, dass je nach Fragestellung ganz unterschiedliche Tools zum Einsatz kommen – von Produktideen-Screening über Persona-Entwicklung bis hin zu Social Listening und Wettbewerbsanalysen. Diese Tools sind wertvoll, gehören aber teilweise nicht mehr zur qualitativen Forschung im engeren Sinne. Um den Fokus klar zu halten, konzentriert sich dieser Artikel daher bewusst auf die zentralen Kernprozesse qualitativen Researchs.
1. Research-Konzeption, Ideation & Strategisches Sparring mit KI
"Ich will mein Research-Projekt gut strukturieren – von der Fragestellung bis zur Ideenentwicklung."
Bereits in der Planungsphase kann KI eine wichtige Rolle spielen. Sie hilft dabei, Forschungsfragen zu schärfen, Hypothesen zu formulieren oder Studienziele zu strukturieren. Besonders nützlich ist sie bei der Erstellung von Interviewleitfäden: KI-gestützte Systeme schlagen Fragen vor, helfen bei der Priorisierung. Hier ist natürlich immer noch die menschliche Einordnung erforderlich, um sicherzustellen, dass die vorgeschlagenen Fragen auch auf das Forschungsziel einzahlen. Jedoch kann KI hier manchmal neue Ideen liefern, die es lohnt zu überdenken. Es ist sogar möglich Antwortverläufe auf der Basis von vorhandenem Nutzerdaten zu simulieren. Diese sollten zwar nicht als Ergebnis herangezogen werden. Es hilft aber, den Leitfaden weiter zu optimieren.
Gerade für Strateg:innen und Innovationsverantwortliche kann KI ein Reflexionsraum sein. Sie bietet alternative Perspektiven, provoziert Fragen, hilft beim Reframing und kann dazu beitragen, implizite Annahmen sichtbar zu machen. Dieser Einsatz ist weniger technisch, aber methodisch spannend: KI als Denkpartner.
2. KI-gestützte Interviewführung & Moderation
"Ich suche eine skalierbare Möglichkeit, Nutzende automatisiert zu befragen oder zu begleiten."
Mit sogenannten Agentic-AI-Systemen können heute (halb-)automatisierte Interviews durchgeführt werden. Diese KIs stellen Fragen, hören zu, reagieren auf Antworten, stellen Rückfragen, transkribieren und analysieren. Auch für Diary-Studies oder Screener eignet sich dieses Format. Der Vorteil: hohe Skalierbarkeit bei gleichbleibender Struktur. Der Nachteil: Der menschliche Tiefgang fehlt (noch) – darum ist diese Methode besonders für explorative oder frühphasige Fragestellungen interessant.
Besonders spannend ist das für ResearchOps-Verantwortliche oder für standardisierte Befragungsformate wie wiederkehrende Touchpoint-Analysen.
3. Analyse & Synthese qualitativer Daten (automatisiert & strukturiert)
"Ich möchte qualitative Interviews, Tagebücher oder ethnografisches Material schnell analysieren und erste Insights ableiten."
Gerade qualitative Daten sind reich an Kontext, Tiefe und Bedeutung – aber sie sind auch aufwendig in der Auswertung. KI kann hier unterstützen, indem sie offene Aussagen clustert, Themen erkennt, Zitate extrahiert und erste Hypothesen formuliert. Kommerzielle Tools oder auch eigene GPT-Workflows helfen, Muster sichtbar zu machen, ohne die Kontrolle abzugeben. Die menschliche Interpretation bleibt essenziell, wird aber gezielter und effizienter.
Für viele UX Researcher:innen in Agenturen oder Inhouse-Teams ist das ein echter Effizienzhebel – vor allem, wenn es darum geht, große Mengen an Interviewdaten systematisch zu verdichten, ohne an Tiefe zu verlieren.
4. Simulation mit synthetischen Nutzern / synthetic data
"Ich will testen, wie verschiedene Nutzertypen auf ein neues Konzept reagieren – ohne sofort reale Nutzer:innen zu rekrutieren."
KI kann Rollen, Ziele, Frustrationen und Entscheidungslogiken simulieren. So entstehen synthetische Personas, mit denen man erste Konzepte testen oder Journeys durchspielen kann. Das ersetzt keine echte Nutzerforschung, bietet aber einen wertvollen Einstieg, besonders bei begrenzten Ressourcen oder zur Hypothesenbildung.
Gerade Produktmanager:innen können diesen Ansatz mutzen, um erste Reaktionen zu simulieren, Hypothesen zu überprüfen – und Konzepte mit synthetischen Personas zu schärfen, bevor reale Nutzer:innen einbezogen werden.
5. Nutzerverhalten analysieren & UX verbessern
"Ich will besser verstehen, wie Nutzer:innen mit digitalen Produkten interagieren – auch jenseits des Interviews."
Gerade für UX-Teams, die datengetrieben arbeiten, bieten moderne KI-Tools enorme Chancen. Eye-Tracking, Heatmaps oder Sentiment-Analyse liefern riesige Datenmengen – und KI hilft dabei, darin Muster zu erkennen: Wo stockt die Aufmerksamkeit? Welche Features verwirren? Was wird übersehen? Die Kombination aus qualitativen Beobachtungen und quantitativen Spuren schafft neue Tiefenschärfe im Nutzerverständnis – und macht UX-Optimierung gezielter.
6. Insight-Kommunikation & Stakeholder Reporting
"Ich will Ergebnisse für Stakeholder so aufbereiten, dass sie schnell verstanden, genutzt und weiterverwendet werden können."
KI kann auch dabei helfen, Research-Ergebnisse zu kommunizieren – zum Beispiel in Form von automatisch erstellten Reports, visuell aufbereiteten Dashboards oder Chatbots, die Rückfragen beantworten. Auch Text-zu-Visualisierung-Funktionen, wie Cluster Visualisierungen, Sentiment Clouds oder Persona Grafiken, können dabei unterstützen, qualitative Erkenntnisse für unterschiedliche Stakeholder verständlich zu machen. Das sorgt für mehr Sichtbarkeit von Research im Unternehmen und unterstützt Produktverantwortliche und Marketingteams dabei, informierte Entscheidungen zu treffen – ohne selbst tief in die Daten einzutauchen.
Für Produktverantwortliche und Marketingteams, die regelmäßig gegenüber Stakeholdern berichten, schafft das neue Möglichkeiten: Research wird nicht nur schneller, sondern auch anschlussfähiger – und leichter kommunizierbar.
Fazit: Viele neue Möglichkeiten – aber auch klare Entscheidungen gefragt
Diese sechs Felder zeigen, wie vielfältig der Einsatz von KI im qualitativen UX Research sein kann. Wichtig ist: Nicht jedes Tool passt zu jeder Frage. Aber wer die Einsatzmöglichkeiten kennt, kann besser entscheiden, wann KI echten Mehrwert liefert – und wann nicht.
"Ich unterstütze Unternehmen dabei, den passenden Einstieg in den Einsatz von KI im Research zu finden – praxisnah, kontextsensibel und strategisch fundiert. Ob es darum geht, erste Tools zu testen, Research-Prozesse neu zu denken oder bereits laufende Projekte zu reflektieren: Ich begleite Teams dabei, Klarheit zu gewinnen und ihre Kompetenzen auszubauen."
Wenn du Sparring brauchst – z. B. bei der Toolauswahl, Pilotierung oder Konzeption – freue ich mich auf den Austausch. Melde dich gerne direkt bei mir.
Für meinen nächsten Beitrag möchte ich von euch wissen: Wo braucht ihr am meisten Unterstützung im Research-Alltag? Hier die zugehörige Umfrage – ich freue mich auf eure Einschätzungen!